Marie R. [1] ist ausgebrannt. Sie ist Krankenschwester und arbeitet seit mehr als 10 Jahren im Schichtdienst einer Universitätsklinik. Zuhause betreut sie zusammen mit ihrem berufstätigen Ehemann zwei schulpflichtige Kinder.

Auf meine Frage, wie es ihr bisher in der Corona-Pandemie ergangen ist und wie sie die Herausforderungen bisher bewältigt hat, antwortete sie prompt:

„Ich bin ein positiver Mensch und habe das große Glück,

eine tolle Chefin zu haben.“

 

Ihre Ausführungen nahm ich zum Anlass, weitere Mitarbeitende und Führungskräfte in Organisationen zu fragen, was denn eine/en gute/en Chef/in in Krisensituationen auszeichnet.

Dies kam dabei heraus:

 

1. Eine Grundhaltung: Wir sind alle nur Menschen

und verhalten uns, wie wir uns verhalten können!

Zehn Mitarbeitenden zu haben bedeutet zehnmal individuellen Belastungsgrenzen, Sorgen, Nöte und Ängste, Lebenserfahrung, Selbstwertgefühl mit allen daraus resultierenden sehr individuellen Sicht- und Verhaltensweisen. Leach beschreibt in seinem Buch Survival Psychology die häufigsten individuellen Reaktionen in Krisensituationen: Panik, lähmende Angst, Wahrnehmungseinschränkungen, einen Tunnelblick, Verdrängung, Hypoaktivität, Apathie, Hyperaktivität, irrationales Verhalten, Wut, Schuld und psychologischer Zusammenbruch (Leach, 1994).

10 bis 20% der Betroffenen bleiben in extremen Krisensituationen ruhig und sind damit fähig Entscheidungen zu treffen sowie adäquat zu reagieren. 75% der Betroffenen sind überfordert, erleben Beeinträchtigungen im kognitiven Bereich und können nur noch in einer automatischen Art und Weise reagieren. 10 bis 15% der Betroffenen zeigen kontraproduktives und nicht kontrollierbares Verhalten, wie beispielsweise Erstarren (Leach, 1994; 2004). Von 7000 in der Corona Pandemie befragten Chinesen zeigten 35% Symptome einer Generalisierten Angststörung, 20% Symptome einer depressiven Störung und 18% Symptome einer Schlafstörung (Huang und Zhao 2020).

War der Stresslevel in vielen Organisationen wie in Akutkliniken durch Personalengpässe und Schichtarbeit schon vor Ausbruch sehr hoch, stieg er in der Pandemie für viele Mitarbeitende in einem Maß an, das ein deutliches Mehr an individueller Führung je nach Schwere der persönlichen Betroffenheit und der persönlichen Umstände des Einzelnen erfordert. Wie auch immer sich die Pandemie im Fühlen und Denken auswirkt, die Bandbreite des Verhaltens ist groß. Sie reicht vom Rückzug bis hin zu unkontrollierten Wutausbrüchen. Führungskräften sollte ein angemessener von Empathie geprägter Umgang mit diesen Stressreaktionen ihrer Mitarbeiter/innen gelingen.

2. Täglich mehr Zeit für die Kommunikation mit

Mitarbeitern/innen einräumen

Mitarbeiter/innen wollen gerade jetzt zeitnah informiert werden. Sie möchten mit ihren Anliegen wahrgenommen werden, brauchen in der Zeit des Kontrollverlustes mehr denn je Orientierung, haben ein größeres Bedürfnis nach Klärungen ihrer persönlichen Themen (Arbeitszeit, Kinderbetreuung, Homeschooling, Homeoffice etc.) oder einfach nur mal nach einem aufmunternden und mutmachenden Wort ihres/er Chefs/in.

Auch in Videokonferenzen mit dem eigenen Team kann ein kleines Blitzlicht[2] am Anfang eine wertvolle Rückmeldung über die Stimmungslage des Teams bzw. einzelner Teammitglieder geben. Aufrichtiges Nachfragen und aufmerksames Zuhören sind in kritischen Phasen unverzichtbare Werkzeuge gelungener Kommunikation.

 

3. Präsent sein

„Bei Sturm gehört der Kapitän/die Kapitänin auf die Brücke.“

Schon in den 70er Jahren hat Hewlett-Packard nach der Methode „Management by Wandering Around“ Führung praktiziert. In einer Zeit, in der Ängste und Sorgen die Gemüter beeinträchtigen, unterstützt diese Methode Führungskräfte enger im Kontakt mit den Mitarbeitenden zu sein. Bei den Rundgängen durch die Teams können Stimmungen aufgefangen, wichtige Themen angesprochen und auf dem kurzen Dienstweg geklärt werden.

 

4. Positiv und ruhig bleiben

Führungskräfte sollten mit Bedacht die richtigen Maßnahmen einleiten und lösungsorientiert denken und handeln. Mitarbeitenden wollen die Überzeugung ihrer Vorgesetzten spüren, dass es immer Lösungen und neue Wege geben wird. Diese positive Grundhaltung strahlt in das Team aus, beruhigt und versprüht ein Gefühl der Sicherheit, die für viele in dieser Zeit dringend notwendig ist. 

 

5. Partizipation

Der Umgang mit der Pandemie erzeugt viele neue Aufgaben. Es empfiehlt sich Mitarbeitende je nach individueller Begabung und Fähigkeit frühzeitig in Entscheidungsprozesse bis hin zur Umsetzung einzubinden. Das dadurch entgegen gebrachte Zutrauen und Vertrauen motiviert und führt aus dem Zustand der Ohnmacht, des Unverständnisses und der Hilflosigkeit heraus.

 

6. Für sich selbst sorgen und bei Laune bleiben!

Diese Pandemie verlangt Verantwortlichen vieles ab: vor allem die richtigen Entscheidungen zu fällen in Situationen, die nie vorher erlebt wurden und auf die keiner in dieser Dimension vorbereitet war. Aus diversen, teils sich widersprechenden, Expertenmeinungen müssen die richtigen Maßnahmen für das eigene Unternehmen eingeleitet werden. Das erzeugt auch bei Führungskräften Stress. Von großem Vorteil ist, wer in dieser Zeit gut für sich selbst sorgen kann und sich trotz der Arbeitslast Zeit für einen passenden Ausgleich einräumt. Verantwortlichen, denen dies gelingt, bewahren eher einen kühlen Kopf, reagieren in kritischen Situationen gelassener und sind auch in diesem Sinn Vorbild für ihre Mitarbeitenden.

 

[1] Name von Redaktion geändert

[2] Blitzlicht ist eine Methode zur Stimmungsabfrage am Anfang von Seminaren, Workshops oder Meetings.

Literatur

Huang Y, Zhao N. (2020) Generalized anxiety disorder, depressive symptoms and sleep quality during COVID-19 outbreak in China: a web-based cross-sectional survey. Erhältlich unter https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/32325383/.

Leach, J. (1994). Survival Psychology. Houndmills, Basingstoke, Hampshire and London: McMillian Press.

Leach, J. (2004). Why people ‘freeze’ in an emergency: Temporal and cognitive constraints on survival responses. Aviation, Space, and Environmental Medicine, 75(6), 539–542.

Kommen Sie gerne auf mich zu, wenn ich Sie Impulse für die Bewältigung der

Herausforderungen von Führung in der Pandemie wünschen.